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UNHEILIG – eine kleine Bestandsaufnahme vor dem siebten Studioalbum „Lichter der Stadt"

Ein Mann, der sich bei mir im Aachener Club Nightlife 2001 zur Releaseparty seiner ersten Scheibe „Phosphor“ einfand und sich als Bernd Graf vorstellte, will heute zwar nur noch „Der Graf“ genannt werden und ist seit dem letzten Album „Große Freiheit“ mit dreifach-Platin der erfolgreichste deutsche Interpret/Gruppe jemals – ja, er schlug sogar Herbert Grönemeyer und seine „Ö“ mittels der Chartplazierungen in den MCC – aber trotzdem ist er menschlich wohl immer noch unaufgeregt und auf dem Boden geblieben. Das muß man ihm zu Gute halten, auch wenn die meisten aus der „Szene“ schon lange nichts mehr mit ihm anfangen können und jedes Lied mit Tanzentzug bestrafen. Ist es nur die Veränderung der Musik – hin zu immer eingängigeren und leicht schmierigen Klangkulissen und Texten – oder ist es doch auch dieses typische Phänomen, daß ein einheimischer Musiker im sog. Independent-Bereich einfach nicht mehr gemocht wird, sobald er großen kommerziellen Erfolg hat, besonders in seiner Heimatstadt Aachen [auch AND ONE will in Berlin wohl kaum noch einer sehen, schon komisch], wobei dies ein wenig geflunkert ist, da der Graf seit jeher im angrenzenden Würselen lebt.

Im Rahmen der aktuellen Berichterstattung stört mich immer immens, daß davon gesprochen wird, daß UNHEILIG vor den letzten beiden Alben gar nicht groß wahrgenommen wurde. Wie ist dies zu bemessen? Nur an abertausenden CD-Verkäufen und Chartplazierungen? Ich denke, dem ist nicht so. Mir hat die Musik dieser Gruppe oft viel bedeutet, die Liveauftritte waren legendär, ich erinnere mich noch ans Zillofestival in Losheim am See 2001, als der Graf sich von der Bühne herab humoristisch-lästernd über die Goten vor dieser lustig machte und so ein Stück meiner Sympathie gewann; weil er das verschaukelte, was sich auch in meinen Augen oft viel zu wichtig nimmt, verkleidete Normalos als ach so schwarze und zum Lachen in den Keller gehende Goten. Nein, so war er nie, er lachte lieber und mußte nicht auf depressiv machen, als er mit seinem ersten Hit 2001 „Sage ja!“ intonierte, in dessen Video sich u. a. eine gute Freundin in seinem Bett räkelte.
Zudem bedeuten mir bis heute viele Texte vor der „wahrzunehmenden“ Zeit etwas, sei es z. B. „Rache“ oder „Spiegelbild“. Auch ich kann wie viele in der „Szene“ mit dem letzten Album „Große Freiheit“ nur in kleinen Teilen etwas anfangen, zu glattgeleckt und ohne Kanten kommen die meisten Lieder daher. Auch ich hatte ein Problem damit, mich noch positiv zu UNHEILIG zu äußern, als der Graf plötzlich bei Spießerliebling Carmen Nebel sein Liedgut vortrug, auch mein Faß hat Grenzen. Trotzdem, und das gestehe ich dem Grafen absolut zu, gehörte das zu einer Marketingkampagne, die dazu führte, daß er nun gut von seiner Musik leben kann. Jeder Musiker strebt dieses Ziel an, egal was er zu unbekannteren Zeiten dazu sagt. Auch veränderte sich die Art der Auftritte des Grafen, er wurde immer mehr zum gutmütigen Menschenfreund, verschaukelte niemanden mehr vor der Bühne, aber eines hatte er weiterhin: Eine große Bühnenpräsenz mit viel Charisma. Lustig war auch, zu erkennen, daß sich bei seinen Konzerten immer mehr die etwas Korpulenteren einfanden, angezogen vom verbreiteten Liedschleim, aufgefangen in [s]einer Welt, die eigentlich nicht die reale, harte ist.

Nun erscheint Freitag das neue Album „Lichter der Stadt“, das siebte  Studiowerk UNHEILIGs [ausgenommnen in dieser Zählung das Weihnachtsalbum „Frohes Fest"], auf das sich mit „Herzwerk“ und „Eisenmann“ musikalisch auch wieder halbe RAMMSTEIN-Stücke verirrt haben, welches aber ansonsten wieder ganz auf gefühlvolle Balladen setzt, soz. die Volksmusik der „schwarzen Szene“. Ein Gastsänger in „Wie wir waren“ klingt bedauerlich-verachtenswert wie Xavier Naidoo.
Prognose: „Lichter der Stadt“ wird erneut einschlagen, aber die Hörerschaft wird sich noch weiter zu denen hinentwickeln, die sonst auch Helene Fischer und Konsorten goutieren.

Leider wird auch die zugehörige Tour wieder ohne einen Termin in seiner Quasiheimat Aachen aufwarten, was der Graf zwar in Interviews damit begründet, daß dies seine Heimat ist, die zum Privatleben gehöre, daß er ja so über alle Maßen schützt [abgesehen von seinem Namen, den eh jeder kennt, finde ich das auch absolut in Ordnung], aber damit auch ein fehlendes Konzert zu begründen, ist für mich dann doch fadenscheinig. Ein Konzert im neuen Konzept der Eissporthalle Aachen, das wäre doch begrüßenswert; der Graf war zwar nie groß auf Szenepartys der Region – dies beteuerte er schon 2001 im Klub – aber er könnte doch seiner Heimat zumindest einen Auftritt offerieren ...

Sir Horn



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